Akupunktur in der Geburtshilfe
 

In meiner 25jährigen Tätigkeit als Beleghebamme wandte ich neben der herkömmlichen schulmedizinischen Geburtshilfe verschiedene Komplementärmethoden zur Behandlung der üblichen Schwangerschaftsbeschwerden an. Jedoch, und diese Erfahrung machte ich immer häufiger, erreichte ich nicht die von mir vorgestellten Ergebnisse. Da ich mich schon seit längerem für Akupunktur interessierte, wollte ich diese Methode erlernen. Ich brauche für eine neue Behandlungsart schon immer eine fundierte Ausbildung, sonst würde ich diese nicht anwenden wollen.
Die Fortbildungsgesellschaft Pro Medico bildet speziell Hebammen aus und ich begann mit dem Grundkurs, der ein Wochenende dauerte. Von wegen „ein paar Punkte nadeln“. Ich erfuhr schnell, dass dies nur ein kleiner Teil des Kurses war. Ich lernte zuerst, dass die Akupunktur nicht losgelöst von der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) angewendet werden kann. Die Akupunktur ist ein integraler Bestandteil der TCM.
Und dies war anfangs sehr schwierig für mich. Ich begriff zwar die Regeln der TCM im Groben, die 5 Elemente waren auch sehr interessant, aber Bagang, Fülle und Leere, Kälte und Hitze, Yin und Yang und so vieles mehr waren mir mehr als suspekt und ich konnte mir Vieles lange Zeit nicht behalten.
Fasziniert hat mich jedoch von Anfang an, dass die Akupunktur ohne Zugabe irgendwelcher Medikamente eine enorme Wirkung zeigt.
Sofort nach dem Grundkurs begann ich mit der Akupunktur bei Schwangerschaftsbeschwerden gemäß meines Ausbildungsstandes.
Da ich in meiner Hebammenpraxis sehr gut mit den Belegärzten zusammenarbeite, schickten diese von Anfang an Frauen mit Beschwerden auch schon in der Frühschwangerschaft zur Akupunkturbehandlung zu mir.
Und Erfolge stellten sich sofort eindrucksvoll ein.
Deshalb meinen viele Hebammen, es reiche, nur die Grundausbildung hinter sich zu bringen, um die Akupunktur in Gänze anwenden zu können. Die Grundausbildung ist, aus meiner heutigen Sicht, jedoch nur ein Einstieg.
Nach einem Jahr Akupunkturausbildung und weiteren Kursen vergleichbar mit der heutigen HAA, machte ich die Prüfung und meldete mich als Mentorin bei ProMedico, um in der Wiederholung der Kurse das bisher Gelernte noch besser zu verstehen.
Nach der Grundausbildung erweiterte ich meine Kenntnisse in vielen Zusatzkursen der TCM. Dazu gehörten z.B. Ernährungslehre, Qi-Gong, Tuina, Syndromlehre uvm.
Nach acht Jahren praktische und theoretische Erfahrungen mit TCM muss ich festhalten, dass das Wissen vom Anfang oberflächlich ist. Im Laufe der vielen Kurse, die ich als Mentorin und zwischenzeitlich als Kursleiterin machen durfte, veränderte sich der Blickwinkel auf die eigentliche Akupunktur. In der ersten Zeit versuchte ich, möglichst viele Punkte möglichst häufig zu nadeln. Mit dem besseren Verständnis der TCM und immer größer werdendem Wissen und Erfahrung stellte ich fest, dass es viel weniger Nadeln braucht, um das gleiche gute Ergebnis zu erzielen.
Heute ist die TCM ein fester Bestandteil meiner Arbeit geworden.
Um das darzustellen, werde ich im Folgenden mehrere Beispiel aufzeigen.
1. Hyperemesis:
Zuerst mache ich immer eine gründliche Anamnese. Es war mir nach anfänglichen Misserfolgen bald klar, dass eine Besserung nur möglich ist, wenn auf Grund der Befragung der Typ der Beschwerden festzustellen ist.
Bevor ich akupunktiere ist es wichtig, dass die Frauen auch ihre Ernährung und ihre Lebensweise umstellen.
Morgens braucht die Frau ein ein warmes Frühstück, wenig, bzw. keine Milchprodukte und keine kalten Getränke und Speisen mehr. Kraftbrühen sind sehr wichtig für die allgemeine Stärkung.
Zusätzlich beginne ich mit der Nadelung von Perikard 6, dem Meisterpunkt der Übelkeit. Bei Erbrechen kommen Magen 36 und als übergeordneter Punkt DuMai 20 dazu.
Habe ich 4-5 mal genadelt und keine Besserung erreicht, ergänze ich die Akupunktur mit dem Nahpunkt RenMai 12. Bei Frauen mit beruflichem und familiärem Stress ist Leber 3 unbedingt erforderlich. Bei Sodbrennen Punkt Magen 44.
2. Ischialgien
Wir unterscheiden zwischen Gallenblasen- und Blasen-Ischialgien. Grundsätzlich werden die Punkte DuMai 3 und 4, Blase 23 und 25 genadelt.
Hat die Frau Schmerzen bei der Rotation, so nadele ich Gallenblase 30 und A-Shi-Punkte, dies sind lokale Schmerzpunkte. Als Fernpunkt nehme ich den Punkt Gallenblase 34,41 und ev. Dünndarm 3.
Besteht bei der Beugung nach vorne der Schmerz, so sind Blase 31, 32 ev. 28 und als Fernpunkt Blase 40 wenn der Schmerz bis zur Kniekehle zieht, reicht er bis in den Unterschenkel- Blase 60 sinnvoll.
3. Karpaltunnel-Syndrom
In der Schwangerschaft schulmedizinisch therapieresistent, jedoch sehr gut zu akupunktieren. Frauen sind oft verzweifelt, weil die Schmerzen besonders in der Nacht keinen Schlaf zulassen. Ich nadele Perikard 6 und 7, Dickdarm 4, Herz 7 noch als lokalen Punkt bei sehr starken Beschwerden dazu.
Die Regel nach 4 Sitzungen eine Besserung zu erzielen, gilt bei diesem Beschwerdebild nicht. Meine Erfahrung zeigt, dass mindestens 10 Behandlungen notwendig sind, bis die Sensibilität in den Händen besser wird und die Schmerzen nachlassen.
4. Schlaflosigkeit
Oft können hochschwangere Frauen nicht mehr gut schlafen. Sie wachen ständig auf und sind am Morgen wie zerschlagen. DuMai 20, Herz 7, Perikard 6 lassen den Geist (Shen) zur Ruhe kommen.
5. Juckreiz und Ekzeme
Ekzeme gelten laut TCM als Hitze der Haut und können mit Akupunktur gelindert werden.
Dickdarm 11 und 4, Leber 3 und Blase 40 lindern in den meisten Fällen den Juckreiz deutlich.
6. Geburtsvorbereitende Akupunktur
Die Erfahrung mit dem geburtsvorbereitenden Schema nach Römer erleben fast alle Kolleginnen als sehr positiv. Erstgebärende haben einen besseren Ausgangsbefund, können deshalb Schmerzen viel besser tolerieren und brauchen somit weniger Medikamente unter der Geburt. In unserem Kreißsaal wird sehr selten eine PDA gebraucht, sicher auch ein Verdienst der Akupunktur.
7. Akupunktur unter der Geburt
Die Akupunktur unter der Geburt wirkt bei straffem Muttermund, zur Schmerzerleichterung wende ich die Elektro-Akupunktur von Dickdarm 4 und 10 einseitig an, um die körpereigene Endorphinausschüttung zu erhöhen. Bei straffem Muttermund, zur Wehenunterstützung, bei Verspannung und Übelkeit ist für viele Frauen Akupunktur eine große Hilfe
8. Placenta-Lösung und verstärkte Nachblutung
Ca. 15 Minuten nach der Geburt des Kindes, wenn die Placenta keine Anstalten zur Lösung macht, nadele ich Niere 16. Auch bei verstärkter Nachblutung, sofern noch kein Kontraktionsmittel nötig ist, versucht man es mit Nadelung von Niere 16. Der Uterus kontrahiert sich meist umgehend und die Blutung steht.
9. Rückbildungs-Störungen
Selten haben Frauen im Wochenbett echte Rückbildungs-Störungen. Besteht jedoch ein Kantenschmerz und die Lochien werden weniger, ist Nadeln von Niere 16 sehr wirksam. Noch während die Nadeln liegen verspüren die Frauen Kontraktionen und der Wochenfluss läuft wieder.
10. Laktations-Störungen
Seit ich akupunktiere, gibt es für mich keine andere Behandlung der Stillprobleme mehr. Die Frauen werden für die Akupunktur bequem auf der Liege gelagert, ich sorge für Wärme und Ruhe während der Behandlung. Die Wirkung erfolgt prompt, oft noch während die Nadeln liegen.
Schmerzhafter Milcheinschuss: Am 3. oder 4. Wochenbett-Tag sind gestaute Brüste, aus denen trotz Wärme und Ausstreichen keine Milch läuft, eine schmerzhafte Angelegenheit, die auch zu psychischen Verspannungen führt.
Magen 15/16, 18, RenMai 17, präaxillärer Brustpunkt und die entsprechenden Fernpunkte wie Dickdarm 4 als Ausscheider, Dünndarm 1 oder 3, Gallenblase 41 und DuMai 20 zur Entspannung sind eine wirksame Behandlung.
Mastitis: Rötung und Fieber sind Zeichen für eine beginnende Mastitis. Akupunktur der Brustpunkte und die richtigen Fernpunkte Dickdarm 11 und 4, DuMai 14, Gallenblase 41, Magen 44 und Dünndarm 1 helfen in den meisten Fällen. Die früher häufigere Gabe von Medikamenten ist bis auf ganz seltene Fälle nicht mehr notwendig.
Mangelnde Laktation: Akupunktur nährt nicht, sie verteilt! Milchmangel ist mittels Akupunktur nur sekundär zu behandeln. Zuerst muss die Frau ihre Reservoirs mit der entsprechenden Ernährung auffüllen. Dazu können nach der TCM warme Speisen und Getränke beitragen, sowie Kraftsuppen, Erdgemüsegerichte, Malz, Fencheltee, Ingwer, usw. Ruhe und Hilfe im Haushalt sind nötig. Dann kann die Akupunktur helfen:
Die Brustpunkte, Leber 3 als Verteiler, Magen 36 und Milz-Pankreas 6 als energetische Punkte und RenMai 6, das Meer der Energie, können gemoxt werden.
Ich habe schon oft erlebt, dass Frauen selbst noch nach Monaten wieder voll gestillt haben.
Dies sind nur einige Beispiele aus meiner Praxis, wie die Akupunktur die Arbeit einer Hebamme bereichern kann. Es soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die Akupunktur ein Allheilmittel ist. Diesen Anspruch erhebt die Akupunktur nicht.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Akupunktur nur bei „Gestörtem“ hilft und nicht bei „Zerstörtem“. Genaue Diagnose und die Erkenntnis, wann die Akupunktur nur noch begleitend und nicht als alleinige Behandlung angewendet darf, ist unerlässlich.
Außerdem liegt es an uns Hebammen bei aller Euphorie für die Akupunktur und die TCM, den Frauen zu vermitteln, dass sie selbst aus eigener Kraft gebären und die Akupunktur nur eine wertvolle Hilfe und Unterstützung ihrer Fähigkeiten ist.
Dies gilt auch für uns Hebammen. Nicht die Masse der Komplementärmethoden ist entscheidend für unsere Arbeit, sondern die Qualität in Ausbildung und Anwendung als Ergänzung unserer ursprünglichen Hebammenkunst.

Gertrud Oesterling, 54J., Hebammenexamen 1971 in Marburg, 3 Jahre in Städt. Kliniken Darmstadt als angestellte Hebamme, seit 1974 Beleghebamme im St. Rochus Krankenhaus Dieburg, 3 Kinder, seit 1989 Gemeinschaftspraxis mit Tochter, Akupunktur seit 1995, seit 2000 Kursleiterin für Hebammenakupunkturausbildung bei ProMedico.

 
   
Artikel aus der DHZ vom Ferbuar 2004  

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